Albanien, 2007: Ausflug ins Land der Skipetaren

Wir sind Außerirdische. Wir werden in dem Moment daran erinnert, als wir mit der Dnepr K 750 und der Chang-Jiang auf dem Dorfplatz von Carcove stehen und unsere Weiterfahrt planen. Ein weißer Lieferwagen rollt langsam neben uns, er hält vor dem Russengespann an. Zwei junge Leute steigen aus dem Wagen aus, zielstrebig geht die Frau auf uns zu. Wer wir sind und woher wir kommen, fragt sie uns neugierig. Solche seltsamen Motorräder habe sie noch nie gesehen, außer in einem Film über den zweiten Weltkrieg. Daß sie die beiden Fahrer ebenfalls etwas eigenartig findet, spüren wir sofort. Lindita Cela stellt sich als Reporterin der Zeitung „Shekulli“ vor und bittet uns, ihr ein kurzes Interview über unsere bisherige Reise zu geben sowie unsere Eindrücke zu schildern. Innerhalb kürzester Zeit postiert sie sich mit einem Mikrofon, während ihr Kollege die Fernsehkamera einschaltet.

Die albanische Reporterin Lindita Cela, die unser Interview für Shekulli führte

Die albanische Reporterin Lindita Cela, die unser Interview für "Shekulli" führte

Touristen in Albanien sind offensichtlich eine seltene Spezies.
Dieser Verdacht beschleicht uns bereits einige Tage zuvor in Griechenland, als wir uns auf die Suche nach dem nicht ausgeschilderten Grenzübergang begeben. Nachdem die griechischen Zollformalitäten erledigt sind und wir auf den Hügel mit dem albanischen Grenzposten zusteuern, staunen wir: Drei Container, links und rechts neben der Straße hinplatziert, überragt von einer roten Flagge mit dem schwarzen, doppelköpfigen Adler. Hinter dem letzten Zollgebäude geht die gute Asphaltstraße in eine rote Sandpiste über, die reichlich garniert ist mit Löchern und spitzen Steinen.

So sieht ddie Grenze von oben aus. Unten links die griechische Grenze, die albanischen Container sind die Punkte, da wo die Strasse langsam endet ...

So sieht die Grenze von oben aus. Unten links die griechische Grenze, die albanischen Container sind die Punkte, da wo die Strasse langsam endet ... (Quelle: GoogleEarth)

Der dienstbeflissene Zollbeamte kassiert die üblichen 10,– EUR Einreisegebühr, er beschenkt uns dafür ausgiebig mit Formularen und Stempeln. Nebenbei läßt er uns wissen, daß die Fähre über den Butrintkanal gerade repariert werde, daher noch nicht in Betrieb sei und skizziert uns einen Umweg Richtung Saranda.

Ausgerüstet mit der Zeichnung tuckern wir langsam los. Auf dieser Fahrt lernen wir die erste Lektion für Albanien-Reisende: Was nützt einem der schönste Plan, wenn es weder eine Orts- noch Straßenbeschilderung gibt? Kurz darauf erreichen wir dann ungewollt den Butrintkanal mit der kaputten Autofähre. Sie besteht aus einer abenteuerlichen Konstruktion, ähnlich eines Holzfloßes. Die dortigen Arbeiter bieten uns an, sich wegen der Kanalüberquerung etwas einfallen zu lassen – für 10.– EUR pro Maschine. Ein kurzer Seitenblick auf ihr wackliges Motorbötchen genügt, um das Angebot auszuschlagen.

Die  Alternativroute ist eine Piste, die mühsam zu befahren ist. Unser Fahrstil passt sich sehr schnell dem der Einheimischen an: man manövriert das Fahrzeug bestmöglich um die Schlaglöcher und Bodenwellen herum, unter der kompletten Ausnutzung der beiden Straßenseiten sowie des Fahrbahnrandes. Der Gegenverkehr handhabt das im übrigen genauso.
Gute 40 km und einige Stunden später erreichen wir Saranda, eine Hafenstadt mit rund 14 000 Einwohnern. Auffallend ist der ungezügelte, anhaltende Bauboom, der der Stadt zahlreiche Betonskelette und halbfertige Hotels beschert. Abends erleben wir ein stimmungsvolles Stadtfest entlang der Uferpromenade mit ungewohnt klingenden Gesangsdarbietungen junger Albaner.

Strasse in Südalbanien.

Strasse in Südalbanien.

Die Ausgrabungsstätte Butrint

Um Butrint, eine als UNESCO-Weltkulturerbe deklarierte Ruinenstadt, zu besichtigen, steuern wir unsere Seitenventil-Saurier auf eine gut befahrbare, von Olivenbäumen gesäumte Straße. Der Besucher kann in der Ausgrabungsstätte sowohl Reste griechischer Tempel und einem Theater, als auch römische Bäder sowie frühchristliche Gotteshäuser anschauen. Nach zwei Stunden verlassen wir den Ort, um die Küste zu erforschen.

Eine abwechslungsreiche mediterrane Landschaft erwartet uns entlang der Albanischen Riviera, die nördlich von Saranda beginnt und am Llogara-Paß endet. Die schmale Strecke entlang des ionischen Meeres weist viele Haarnadelkurven auf und die engen Ortsdurchfahrten sollte man mit dem nötigen Respekt vor dem Gegenverkehr befahren.

Blick von der Strasse, albanische Riviera mit Bunkern am Strand

An der albanischen Riviera

Strand an der albanischen Riviera

Entlang dieser Etappe werden wir immer wieder mit Hinterlassenschaften der jüngeren albanischen Geschichte konfrontiert. So stoßen wir bei Porto Palermo auf eine alte Festung von Ali Pascha Tepelene, erbaut zu Beginn des 19. Jhd. während der Besatzungszeit der Osmanen. In der Bucht findet sich ferner eine ehemalige Militäranlage nebst einem U-Boot-Bunker aus der Zeit, als sich Albanien von 1948 – 1968 an die Sowjetunion anlehnte. Das bizarrste Erbe aber hinterließ der ehemalige Dikator Enver Hoxha: kleine Bunker, die übergroßen Pilzen ähneln, erbaut Anfang der 80er-Jahre zur Verteidigung Albaniens vor einer Invasion. Man findet die aus Beton und Spezialstahl erbauten Unterstände verstreut über das ganze Land. Ihre Gesamtzahl wird mit rd. 600 000 Stück angegeben – verteilt auf eine Fläche, die etwa der Größe des Bundeslandes Brandenburg entspricht! Es gibt Berechnungen, womit man anstatt dieser riesigen Materialverschwendung mehrere hunderttausend Sozialwohnungen hätte bauen können.

Typische, albanische Einmann-Bunker

Typische, albanische Einmann-Bunker

Jegliche trüben Gedanken vergehen bei der Fahrt auf den Llogara-Paß. Die gut ausgebaute Straße windet sich in angenehm zu fahrenden Serpentinen von 0 auf 1050 m.ü.M. Unterhalb des Paßes finden wir eine Unterkunft für die Nacht, und hier erleben wir zwei Besonderheiten, auf die sich der Albanien-Tourist einstellen sollte: Zum einen fällt der Strom just in dem Moment aus, als wir die Blockhütte beziehen wollen. Eine knappe halbe Stunden später flimmern die Lampen bereits wieder. Das andere, weitaus größere Problem, beschert uns die unverständliche Speisekarte. So bestellen wir auf Verdacht „misht zgare“ und „misht heli“, und bekommen Grill- sowie gekochtes Fleisch serviert.

Strassenszene in Vlora

Strassenszene in Vlora

Mittags passieren wir Vlora. In Mittelalbanien gelegen, ist dies eine der größten Städte des Landes. Mit den farbigen Gebäuden, dem palmengesäumten, breiten Boulevard mit den geschäftigen Menschen und neuwertigen Autos wirkt Vlora modern und wohlhabend. Diese Stadt paßt so gar nicht zu dem Bild, das ich von Albanien hatte: Das zweitärmste Land Europas, ein Viertel der Bevölkerung lebt unter der Armutsgrenze. Später, in Fier, begegnen wir der Mitarbeiterin einer österrreichischen Hilfsorganisation, die uns erklärt, dass sie vorwiegend Kindern helfe, die aus dem bitterarmen Nordosten stammen. Im reicheren Süden dagegen kümmern sie sich nur noch um Notfälle. Sie habe im Süden das Gefühl, dass sich alles im Halbjahrestakt verändere und erneuere. Eine Darstellung der Unterschiede erhalte ich knapp einen Kilometer später. Auf der linken Straßenseite, ist eine weiße Stretch-Limousine mit dunkel getönten Scheiben abgestellt. Dem angebrachten Schild ist zu entnehmen, daß dieses Gefährt gemietet werden kann. Etwa drei Meter rechts daneben sitzt ein ärmlich gekleideter Mann auf seinem Pferd.

Szenerie in Ballsh

Szenerie in Ballsh

Anschließend führt uns unsere Tour ins Landesinnere. Während wir durch eine sanfte Hügellandschaft gondeln, steigt mir ein seltsamer Geruch in die Nase; als wir kurz darauf auf die ersten verrotteten Öltanks und noch intakten, aber antiken Bohrtürme stoßen, merken wir verblüfft, daß Albanien Erdöl besitzt. Das Zentrum der Förderung befindet sich in Ballsh, wo es eine modernere Raffinierie gibt. Um uns herum schuftet allerdings eine Armada von antiquierten Pumpen, der Gestank nimmt einem die Luft. Von diesem Ort zieht es uns schnell weg, rasch sind die Maschinen angekickt, zügig eilen wir vorbei an den Tankstellen, die stolz „naphte“ aus Ballsh anbieten

Strassen in Gjirokaster

Strassen in Gjirokaster

Häuser am Berg

Häuser am Berg

Gute 80 Kilometer südlich erreichen wir Gjirokaster. Im zähen Verkehrs-Getümmel fällt mir auf, daß die Kupplung des Chinesen nicht vollständig trennt. Der Motor schiebt trotz gezogenem Kupplungshebel gnadenlos nach vorne. Ich bin erleichtert, als Sacha die Straße Richtung Festung einbiegt und wir uns auf einer schmalen Straße mit Kopfsteinpflaster wiederfinden.
Doch schon nach wenigen Metern führt die Straße einen steilen Berg hoch, das Pflaster weist starke Senken auf und nach einer leichten Kurve nimmt die Steigung bedrohliche Ausmaße an. Ich bugsiere das Gespann im ersten Gang mit Vollgas die Straße hoch und hoffe pausenlos, daß ich an dieser Steigung weder anhalten noch anfahren muß. Hier kommen die verschwenderischen 26 PS der CJ an ihre Grenzen. Sacha schielt ständig nach einer Notfall-Einfahrt, aber die sind alle besetzt und die Straße führt unbamherzig den Hügel hinauf. Vor ihm beginnt ein Auto zu bremsen. Ein Wunder geschieht – es setzt sich wieder in Bewegung und Sacha kann kurz darauf die K 750 in einer Seitenstraße parken. Ich muß meine Nerven beruhigen, im Wissen, daß beide Gespanne diese Straße wieder hinuntergeschafft werden müssen. Danach, als wir von der Festung hinunterschauen, entdecken wir sie, die schönste Straße Albaniens: breit, asphaltiert, und – sie führt in sanften Kurven den Hügel hinunter auf die Umgehungsstraße!

Gjirokaster wurde 2005 in die Liste der UNESCO-Weltkulturerbe aufgenommen, als seltenes Beispiel einer gut erhaltenen Stadt aus der Osmanenzeit. Wir können diese charmante Stadt mit ihren besonderen Häusern, die kleinen Trutzburgen gleichen, sehr empfehlen.

Die Fahrbahn in östliche Richtung führt entlang des beschaulichen Vjosa-Tals. Hinter Permet beeindruckt uns die Landschaft wegen des Gegensatzes von grünem Flußtal zu den hohen Bergen. Die Straßenqualität hat für uns, die wir inzwischen viel gewohnt sind, einen Hauch von Luxus.

Vjosa-Tal: schöne Landschaft, schöne Strassen

Vjosa-Tal: schöne Landschaft, schöne Strassen

Die letzte Nacht unseres Albanien-Ausflugs logieren wir im Hotel Germenj, wo wir auf einen der ersten deutschen Touristen auf unserer Reise treffen. Dieser ältere Herr ist seit Tagen allein mit seinem Auto unterwegs und bestätigt uns, wie andere Reisende später ebenfalls, daß er keinerlei unsichere Situationen erlebt hatte.

Die einzigen brenzligen Situationen widerfahren uns gegen Ende unseres Albanien-Ausflugs. Sacha macht die Bekanntschaft eines agressiven Hundes, der die Dnepr in voller Fahrt  verfolgt, um anschließend seine Zähne in den Schuh des Fahrers zu graben.

Tags darauf trägt es die Chang-Jiang bei regennaßer Straße urplötzlich über die linke Straßenseite hinaus, sie rutscht gegen einen Stein. Dieser verhindert somit eine unfreiwillige Bergfahrt. Zurück auf der Straße merke ich, daß diese rutschig ist wie Schmierseife

Auf dem Weg zur griechischen Grenze treffen wir dann auf das Fernsehteam. Auf die abschließende Frage von Frau Cela, ob wir denn planen, wiederzukommen, antworten wir, daß wir das gerne täten. Unsere Ufos wollen schliesslich bewegt werden.

Unsere Lieblingsbrücke

Den letzten bleibenden Eindruck an die „Republika e Shqipërisë“ hinterläßt der Zöllner, der uns so nebenbei fragt, ob wir nicht noch Drogen oder Waffen an Bord hätten…

Nach insgesamt 4000 km in Albanien und Griechenland sind wir wohlbehalten wieder daheim angekommen. Die Hebelwirkung der Kupplungsausrückstange wurde in Nordgriechenland mit Hilfe eines dazwischengequetschten Nagels stark verbessert, ferner auf der Peloponnes ein gerissener Ansaugstutzen ersetzt.

Über Albanien bleibt zu sagen, daß es ein bislang unterschätztes Land ist: Man trifft auf wunderschöne Landschaften, von Sandstrand bis hochalpin. Allerdings erfordert es zur Erforschung ein robustes Fahrzeug. Momentan ist Albanien Enduro-Land – aber Gespanne mit genügend Bodenfreiheit fühlen sich auf den Pisten sicherlich genauso wohl!

Hier noch ein kurzer Ueberblick der wirklich wunderschönen Anreise von Venedig aus. Danach noch einige Impressionen aus Griechenland.

Sicht auf Venedig von der Fähre aus

Sicht auf Venedig von der Fähre aus

Sicht auf Venedig

Sicht auf Venedig

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Ankunft in Igoumenitsa, Griechenland:

Fähre

Seit wir nicht mehr auf der Fähre sind, ist die Wasserstandslinie wieder sichtbar

Herde in der Nähe der Grenze

Herde in der Nähe der Grenze

Vikos-Schlucht in Nordgriechenland

Vikos-Schlucht in Nordgriechenland

Meteora-Klöster, Nordgriechenland

Meteora-Klöster, Nordgriechenland

Delphi, Mittelgriechenland

Delphi, Mittelgriechenland

Delphi

Delphi

Kanal von Korinth

Kanal von Korinth

Blick über den Peloponnes

Blick über den Peloponnes

Die Ruinenstadt Mystra

Die Ruinenstadt Mystra

Auf der Halbinsel Mani auf der südlichen Peloponnes

Auf der Halbinsel Mani auf der südlichen Peloponnes

Mani

Mani

Mani

Olympia

Olympia

Die Charilaos-Trikoupis-Brücke verbindet die Peloponnes mit dem Festland

Die Charilaos-Trikoupis-Brücke verbindet die Peloponnes mit dem Festland

Brücke