Rumänien, 2002

Vorgeschichte:

Sacha und ich haben uns an einem Russenboxertreffen im Spessart kennen gelernt. Danach haben wir uns noch das eine oder andere Mal gesehen, bevor eine E-Mail  von  ihm bei mir eingeflattert ist mit der Anfrage, er möchte nach Rumänien fahren, mal das Schloss von Graf Dracula anschauen. Ob ich denn nicht Lust hätte, mitzukommen? Im August sollte unsere Reise dann stattfinden.

Reisevorbereitungen:

Dnepr: die Dnepr bekam eine Art Kettenhemd über das Boot, um den Inhalt zu sichern.

Chang Jiang: kleine Inspektion mit Ventil-Einstellen, Ölwechsel. Ferner bekam das Boot eine Art abschließbarer, aufklappbarer Deckel aus genietetem Blech.

Fr. 9.08.02

R: Die bestellten Ersatzteile von Warnke sind also doch nicht eingetroffen. Ok. Pech gehabt. Scheiße. Was muss der auch an dem Wochenende sein Treffen haben! Hoffentlich passiert nichts größeres am Chinesengespann während der Fahrt!

S: Um 15.45 h finde ich mich am Campingplatz in Kochel am See ein, von wo wir unsere Reise starten wollten. Ich habe bereits die 350 km von Zürich problemlos hinter mir. Ein Anruf von Regina: Sie hat Probleme mit dem Seitenwagenverdeck, sie braucht noch einige Zeit. Das hat man also davon, wenn man mit fast wildfremden Chinesenfahrerinnen nach Rumänien will……. Nach einem weiteren Telefonat steht fest, daß wir uns wegen des starken Regens bei Freunden von Regina treffen und dort übernachten.

Sa. 10.08.02

R: Gegen 10.00 h losgefahren, nachdem mit Hilfe von Gerhard das Verdeck am Chinesengespann reisesicher gemacht wird.

S: Nach der Abfahrt Richtung Salzburg stellt sich eine gewisse Nervosität ein: Eine Reise mit einer fast unbekannten Frau mit Chang-Jiang und einer alten Dnepr ist doch etwas ungewöhnlich. Auf der Autobahn Richtung Salzburg dann das erste Problem an der Dnepr: Die Gänge können nur aufwärts geschalten werden. Nach ein paar Versuchen, das Getriebe einzustellen, wurde aufgrund des nur mäßigen Erfolgs, eine Polygripzange anstelle des Handschalthebels verwendet, um die Gänge wieder runterzuschalten.

Mittags noch ein Besuch bei P. Zinterhof in Salzburg, der uns einen originalen Handschalthebel anbietet.

R: Ein Typ, der nach ein paar Kilometern die erste Panne hat, aber gewillt ist, mit einer übernervösen Chinesenfahrerin und einer Polygripzange am Getriebe den Weg nach Rumänien und zurück zu fahren, ist wahrscheinlich der ideale Reisebegleiter. Ich frage mich, wo dieser Mensch seine Gelassenheit und seinen Optimismus hernimmt.

So. 11.08.02

Letzte Nacht haben wir im Umland von Salzburg gecampt.  Sacha war von dem ungebetenen und zweifellos angetrunkenen Besucher seines Zeltes morgen um 5h nicht sehr angetan. Der Typ ist dann aber wieder schnell abgezogen. Leider regnet es wie an den beiden anderen Tagen immer noch. Aber nach einem starken Kaffe auf dem russischen Benzinkocher sieht die Sache nicht mehr so schlimm aus.  Am Abend, in der Gegend um Wien, wird der Regen sehr stark. Das Hinterrad der Dnepr dreht auf der überfluteten Strasse durch und wird gegen das Ersatzrad getauscht, das mehr Profil hat.  Da der Regen nicht nachlässt, quartieren wir uns in einem Hotel ein, wo wir unsere ganzen Habseligkeiten inklusive der Zelte trocknen können.

Mo. 12.08.02

Am Morgen ist es trocken, das hebt die Moral. Bis wir abfahrbereit sind, beginnt es aber bereits schon wieder zu tröpfeln. Wir passieren die ungarische Grenze relativ problemlos, nachdem wir ca. eine dreiviertel Stunde in der Schlange gestanden sind. Die Grenzbeamten interessieren sich mehr für die Motorräder als für die Papiere. Auf der ungarischen Autobahn haben wir ein echtes Highlight: wir überholen mit unseren 22 PS den ersten LKW! Ein herrliches Gefühl! Bei Csam verlassen wir die Autobahn, um auf kleineren Straßen an der Donau entlangzufahren. Die ungarischen Landstraßen sind genauso gut ausgebaut wie unsere. Gegen Abend finden wir auf abenteuerlichen Wegen eine Unterkunft in einem Männerwohnheim in Veresegykáz, nordöstlich von Budapest.

Di. 13.08.02

Wir verbringen den Tag in Budapest – vornehmlich mit der Suche nach einem Ural-Händler in der Nagykörösi ut 99, auf den wir doch einige Hoffnungen gesetzt hatten in Bezug auf Ersatzteile. Wir finden die angegebene Adresse auch, erkennen den Namen auf dem Schild wieder und – staunen über die blitzblanken Büroräume. Akkurat eingeräumte Leitz-Ordner und modern wirkende Kopierer zwischen liebevoll gepflegten Grünpflanzen. Sehen so Ural-Händler in Ungarn aus? Leider nicht. Wie sich herausstellt, fährt der Chef des Unternehmens zwar eine Ural, aber daß er Händler sei, ist wohl eine Fehlinformation. Die anwesende Belegschaft grinst. Nun ja. Budapest an und für sich ist eine sehr schöne Stadt, für die man sich sicherlich mehr Zeit nehmen sollte als wir sie zur Verfügung hatten.

Mi. 14.08.02

S: Nach ein paar Kilometern dann das nächste Problem bei Caipiroschka (der Dnepr): Die Lichtmaschine mag nicht mehr. Nach einer kurzen Inspektion wird eine LiMa-Kohle ersetzt. R: Sacha bastelt an der Lichtmaschine, ich schmiere die Salami-Brötchen, es ist die reine Russenfahrer-Idylle. Für mich ist diese Urlaubsfahrt ein einziges Abenteuer: Die erste ernstzunehmende Reise mit meinem Chinesengespann, das Vertrauen in meine Fahrkünste ist nicht allzu groß, das ganze mit einem mir fast fremden Mann, den ich grad dreimal in meinem Leben gesehen hab; nebenbei habe ich aber viel über Technik, Fahren und Männer gelernt……

Ich merke, daß irgendwo an der Elektrik des Chinesen ein Wackelkontakt ist. Das Problem ist aber schnell gefunden: Das Kabel zur Hauptsicherung war der Übeltäter. Die Straßen von Ungarns Puszta sind super. Übernachtung in einem Trucker-Motel an der ungarisch-rumänischen Grenze. Hier vergeht auch endlich unsere beidseitige Nervosität vor dem Unbekannten und wir sind endlich in richtiger Urlaubsstimmung.

Do, 15.08.02

R: Wir passieren relativ problemlos die ungarisch-rumänische Grenze bei Gyula und fühlen uns sofort in der Zeit zurückversetzt. Der Charakter der Dörfer im Gegensatz zu Ungarn ändert sich rapide:

Waren in Ungarn die Häuschen und Straßen doch sehr ähnlich dem deutsch-österreichischen Standard, sind die Straßen in Rumänien einiges baufälliger, maroder, mit ausgesprochen schlechtem Untergrundbelag. Alles wirkt dörflicher, ärmlicher, die meisten der Seitenstraßen in den Dörfern sind lediglich unbefestigte, ungeteerte Sandpisten. Die Häuser wirken meist sehr krumm, die Fenster sind oft von innen verhangen und die Dörfer sind sich alle sehr ähnlich. Wir sehen viele Störche, meist an den Ortseinfahrten. Gänse, Enten und auch Ochsen kreuzen den Weg, auffallend sind die vielen Pferdefuhrwerke, die langsam am Straßenrand davon zuckeln.  Einige der  Straßen sind verheerend, ich habe immer die Worte im Ohr: „…es wird Euch jede Schraube abvibrieren…“ Wenn die Straßen alle so sind wie die in der Grenzregion, na, dann konnte das ja heiter werden. Auffallend ist die Auswirkung des verbleiten Benzins auf die alten Motorkonstruktionen: Die mechanischen Geräusche sind viel leiser, ich finde auch, daß der Motor insgesamt ruhiger läuft.

S: Wir fahren die 79A von Chirineu-Cris nach Varfunile. Dann geht’s weiter  auf der 76 nach Arad/Deva/Orastie. Unterwegs sehen wir viele Schlösser und Ruinen.

Noch ein Wort zur einheimischen Küche:

Unterwegs halten wir vor einem Straßenrestaurant an, um etwas zu essen. Da es keine Menükarte gibt, geht Regina mit der Bedienung in die Küche, um unser Menü auszusuchen. Sie entscheidet, daß eine warme Suppe uns gut tun würde.  R: „Csorpa de burta“,  wird im Reiseführer als rumänisches Nationalgericht betitelt. In meiner Ahnungslosigkeit habe ich eben dieses bestellt. Erst als Sacha mit Todesverachtung  ein paar helle, fransige Fleischfetzen mit seinem Löffel aus der fettigen Brühe zutage fördert, wissen wir, was ich da bestellt habe: Kutteln. Es ist eine sehr heikle Sache, in Rumänien eine unberührte Suppe zurückgehen zu lassen, das lassen wir lieber sein.

In Coslesti (bei Orastie) finden wir den Zeltplatz, der auf der Karte angegeben war. Komisch, warum sind wir allein auf der schönen Wiese und warum sind die Zelte der Rumänen alle direkt neben dem Weg?

Fr. 16.08.02

R: Als wir morgens dann beim Aufstehen in breite Kuhgesichter blicken, kennen wir den Grund. Das erste Mal fahre ich mit meinem Chinesen vorsichtig durch eine Kuhherde, hat auch was.

Wir fahren durch nette Dörfchen, eine idyllische Landschaft, die zu unserem Erstaunen aber immer noch sehr flach ist. Insgeheim hatten wir doch schnell mit den Karpaten gerechnet, mussten dann aber irgendwann doch feststellen, daß wir die Entfernungen in Rumänien gründlich unterschätzt hatten! Interessanterweise werden die Straßen im Landesinneren etwas besser, auch die Dörfer sehen nicht mehr ganz so ärmlich aus wie die hinter der Grenze.

In einem netten rosa gestrichenen Cafe haben wir die erste Begegnung mit Prostituierten, eine Erscheinung, die an solch befahrenen Straßen nicht ausbleibt. Wir treffen Kemal aus der Türkei, der mit seiner BMW von Istanbul aus unterwegs war. Er erzählt uns, daß Bulgarien viel schlimmer sei als Rumänien in Bezug auf Polizeikontrollen und so weiter. Über seine Tagesleistung von 750 km können wir nur müde grinsen. Immerhin haben unsere beiden Seitenventil-Saurier bisher gut durchgehalten.

An diesem Tag haben wir das Vergnügen unserer ersten Polizeikontrolle, wie sie überall im Lande stattfinden. Die Polizisten wollen alles sehen: Ausweis, Fahrzeugschein und auch den Führerschein. Uns beschleicht das Gefühl, daß die Herren die deutschen und schweizer Papiere nicht so ganz verstehen, aber wenn es ihnen Freude macht, sollen sie halt. Ankunft in Sisioara/Schäßburg, eine wirklich sehr schöne, mittelalterliche Stadt. Die ganze Innenstadt steht unter Denkmalschutz, zu Recht, ein Ausflug dorthin lohnt sich wirklich;  auch wenn Schäßburg dadurch ein sehr touristischer Ort ist. Übernachtung in einem kleinen Hotel, wir bestehen darauf, daß die Gespanne beim Nachbarn eingeschlossen werden

Sa. 17.08.02

Morgens Erkundung der Stadt, die auch Geburtsort von Vlad Tepes, dem historischen Vorbild von Bram Stokers Dracula, ist. Gegen Mittag fahren wir auf der 13 weiter Richtung Brasov, wo sich dann das angebliche Dracula-Schloß“ befindet.

Als wir dann in Brasov ankommen, regnet es noch immer stark. Das Schloß sieht dadurch zwar wildromantisch und sogar leicht gespenstisch aus, hebt unsere Laune zur Besichtigung alter Runinen aber leider nicht besonders. Hinter Bran beginnt die sehr schöne Straße 73, die direkt in die Berge führt. Die Straße steigt und steigt an. Wir bedauern, daß wir wegen des Regens und Nebels die wunderschöne Aussicht auf die sattgrünen Täler und Wiesenlandschaften nicht genießen können. Am Straßenrand wird Schafskäse in Baumrinde angeboten, ferner Salami und andere Spezialitäten.

Auf dem Weg zum Paß halten wir an einem Rasthaus und stellen bei der Abfahrt die erste Panne am Chinesengespann fest: platter Reifen. Natürlich fängt es während des Radwechsels sofort wieder an zu regnen. Nach ein paar Kilometern müssen wir den Bremsbowdenzug in Ordnung bringen, der dummerweise aus seiner Halterung entwichen ist. Wir fahren durch eine wunderschöne Karpatenlandschaft, selbst die Dörfchen am Weg sehen sehr schön aus. Das Ganze wäre bei entsprechender Witterung perfekt gewesen.

An diesem Abend kommen wir in Campulung an und entscheiden uns für ein einfaches, aber sauberes Motel an der Durchgangsstraße. Hier beweist sich die Unkompliziertheit der Rumänen: Da es keine Möglichkeit gibt, die Moppeds wegzuschließen, dürfen wir sie kurzerhand unter das Cafe-Vordach schieben, wo die beiden Gespanne einen trockenen, überdachten Platz erhalten. Die Gäste des Cafes schielen alle neugierig zu diesen seltsamen Maschinen und ihren noch seltsameren Besitzern. So ein Unterfangen sollte man mal in Deutschland probieren – unvorstellbar.

Die Rumänen sind sehr kontaktfreudige und sehr freundliche Menschen. Der Chef des Cafès lässt uns einige Fragen übersetzen und erklärt uns, er habe auch mal eine große Maschine gefahren. Was auch immer das in Rumänien heißen mag, denn auf der bisherigen Reise haben wir ausschließlich Simsons gesehen, die eher einem Mofa gleichen, Ausländer fahren meist Enduros. Schwere Motorräder sind somit tatsächlich eine Seltenheit, für schwere, schnelle Maschinen wären die meisten Straßen allerdings auch eher ungeeignet. Der wohl einzige Jawa-Besitzer Rumäniens hat sogar zweimal angehalten, um den seltenen Anblick von Gespannen zu genießen.

So. 18.08.02

Weiterfahrt über Curtea de Arges und Ramnicu Valcea. Auf der 7 Richtung Norden erleben wir eine tolle Fahrt durch eine erstaunlich gut ausgebaute Schlucht. Zudem wird das Wetter langsam besser.

Bei Brezoi fahren wir auf die 7A in die Karpaten. Laut unserer Karte sollte nur ein kleiner Teil „schlecht ausgebaut“ sein. Also entscheiden wir uns, den 1680 m hohen Tarteran-Pass zu bezwingen. Die Straße führt an drei Stauseen vorbei, wir sind entsetzt über die übrig gebliebenen Relikte sozialistischer Architektur: riesige, geschmacklose Betonburgen verschandeln die traumhafte Landschaft. Erstaunlicherweise sind die Straßen zu diesen Hotels in verheerendem Zustand, wir haben auch nicht erkennen können, ob diese überhaupt noch in Betrieb waren.

Wir sehen ein Schild: Sebes, 60 km, die richtige Richtung. Laut Karte über die Passstraße 67C, an ein paar Seen  und einigen wenigen Ortschaften vorbei. Wir biegen in den Weg ein und fahren durch das Spielfeld einiger ambitionierter rumänischer Fußballspieler, die das aber nicht weiter tragisch finden und schnell zur Seite springen. Der Weg sieht nicht unbedingt nach Passstraße aus, deshalb fragen wir einen der Spieler nach dem Weg nach Sebes. Er bestätigt uns gestenreich, daß wir uns auf der richtigen Straße befinden. Die Straße wird zu einer Art ungeteertem Weg mit vielen Steinen drin. Zu dem Zeitpunkt finden wir es noch lustig und abenteuerlich, daß die Rumänen eine solche Straße zu einem Pass verbauen. Laut der Karte müsste sich der schlechte Zustand der Straße auf der anderen Pass-Seite wieder bessern. Erstaunt haben uns die vielen Dacias und LKWs, die sich ohne Rücksicht auf Verluste, Stoßdämpfer und Insassen, ihren unkomfortablen Weg über unzählige Schlaglöcher bannen.

Die Dnepr und die CJ fahren anstandslos die Sand-/Stein-Piste auf den Pass hinauf. Die wenigen Löcher in der „Straße“ können wir noch problemlos umfahren. Auf dem Wege haben wir einige Zigeuner-Lager und viele Wildcamper gesehen. Viele Rumänen scheinen am Wochenende mit ihren Dacias in die freie Natur zu fahren, packen Familie, Grillzeug und Zelt ein und campen dann am Straßenrand oder auf Waldwiesen. Als wir den Pass runterfahren, wird die Straße wider Erwarten nicht besser. Im Gegenteil, die Straße wird immer schlechter; irgendwann wird das ganze nur noch zum anstrengenden Schlaglochumfahren. Allerdings haben wir schlechte Karten: Haben wir das Motorrad um ein Schlagloch manövriert, fährt garantiert das Beiwagenrad in ein anderes Loch. Die Fahrt geht an die Substanz. Zudem wird es langsam Nacht und wir haben noch kein Schlaflager gefunden.

Unsere Gedanken kreisen nur noch um die Motoren und den vielen Schrauben, die sich durch die Vibrationen lösen könnten. Es wird immer dunkler und zu allem Übel ist links Fluss und rechts Busch oder Felswand, d.h. keine Chance, ein Zelt aufzustellen. Die Fahrt wird zum blanken Horror. Sachas 6-Volt-Beleuchtung ist nicht das Gelbe vom Ei. Es wird unerträglich: stockdunkel, wir sind beide müde und kaputt, die Gelenke schmerzen, und immer nur diesen verdammten Schlaglöchern ausweichen im 1. oder maximal 2. Gang.

Irgendwann in tiefster Nacht kommen wir in Tau an, ein kleines Örtchen mitten in den Wäldern. Dort finden wir in der Nähe eines Waldes ein Fleckchen, wo ein kleines Zelt Platz hat. Aber in diesem Moment ist uns alles egal, wir hätten wohl auch mitten auf einer Straße campiert. Hauptsache Schlafen, Hauptsache kein ödes Schlaglochumfahren mehr. Glücklicherweise haben die Maschinen bis dahin keine Probleme bereitet. Auf der Karte sehen wir, daß es noch ein gutes Stück bis Sebes ist. Ich frage mich, ob die irren Rumänen die ganzen 60 km mit lustigen Schlaglochpisten garniert haben. Warum gibt es eigentlich so viele fahrende Dacias in Rumänien? Und warum eröffnen wir keinen Stoßdämpfer-Großhandel?

Mo. 19.08.02

Am nächsten Morgen bekommen wir die Auswirkungen der gestrigen Höllenfahrt zu spüren: Die Dnepr produziert Fehlzündungen, es knallt erbärmlich. Die Hauptdüse hat sich durch die Vibrationen gelöst, Sacha nimmt den Vergaser auseinander und stellt ihn neu ein.  Erst ab Sugag werden die Straßen wieder besser, wir können es kaum fassen. Auch die Anzahl der Dörfer häuft sich wieder. So haben wir 60 km brutalste Schlaglochpiste hinter uns gebracht, dieses Vergnügen hat uns mehr als einen 12 Stunden gekostet. Sachas Vergaserprobleme kommen wieder und halten an bis Sebes.

R: Auf der Suche nach einem Restaurant lernen wir Michail kennen, der uns einiges über die Rumänen und die Lebensumstände erzählt. Etwas irritiert sind wir, als er sich als Ceaucescu-Fan outet und uns vorschwärmt, daß unter diesem rücksichtslosen Despot die Preise noch bezahlbar waren und die Straßen besser. Seither können die Rumänen die Miet,- Benzin-, und Lebenshaltungskosten kaum aufbringen. Das ganze ist eine etwas schwierige Situation: Diktatur oder Überleben? Wie kann ich als privilegierte Westdeutsche da urteilen,  die ich immer brav den Mund auftun durfte und auch immer kaufen konnte, was ich wollte. Aber so erklärt sich wohl die immer noch vorhandene Verehrung für Ceaucescu, der über 40 Jahre das Land mit eiserner Hand diktierte und mit Hilfe seiner Securitate die Bevölkerung brutalst unterdrückte.

Michail lädt uns mit zu sich nach Hause ein. Das bedeutet: Der Gast bekommt auf jeden Fall einen Kaffee angeboten, es werden Familienalben gezeigt, Erfrischungsgetränke gereicht und zuletzt bekommen wir noch eine ganze Tüte frisch gepflückter Äpfel und Birnen. Michail genießt es offensichtlich, auf der Dnepr mitzufahren. In Sebes macht er uns mit „Dr. Simson“ bekannt, einem begnadeten Simson-Mechaniker, der früher selbst eine Ural besessen hatte. Er kann Sacha Ural-Kupplungsbeläge mitgeben und hat gute Vorschläge für die Vergasereinstellung der Dnepr. Die Verständigung ist sehr einfach, da der „Doktor“ sehr gut Deutsch, Französisch und Englisch spricht.

Wir sind begeistert von diesen Menschen, die spontan helfen und sehr gastfreundlich sind. An diesem Tag kommen wir bis Simeria, wo wir den ersten offiziellen rumänischen Zeltplatz auf unserer Reise kennen gelernt haben. Aufgefallen ist uns in diesem Urlaub die teilweise sehr überhebliche Art der deutschen Camper, die ungefragt ihre eingeschränkte Meinung über bestimmte Zustände, die nicht in ihr deutsche Denken passen, zum Besten geben müssen. Aber der Zeltplatz war Ok.

R: Ich muss immer mal wieder nach dem Ölstand des Chinesen sehen der immer sehr schnell abnimmt. Ich bin überzeugt, daß an diesem Motor keine Dichtung mehr ihrer Funktion nachkommt. Wobei den Rumänen, die ihren Ölwechsel oft neben Flüssen auf eigens gebauten Rampen machen, das ziemlich wurscht sein dürfte.

Di. 20.08.02

Weiterfahrt Deva – Arad (die einzige Stadt, die wir je gesehen haben, wo ein Kraftwerk mitten in der Stadt steht, Arad ist sehr industriell). Vor Arad besuchen wir noch einen Vulcanizare, bei dem ich den platten Reifen flicken lasse. Die Reparatur geht erstaunlich schnell, das Highlight des ganzen ist die Inbetriebnahme des Uralt-Kompressors. Man merkt schnell, daß rumänische Reifendienste eine gewisse Übung mit platten Reifen und deren Instandsetzung haben.

Wir fahren über Crizineu Criz bis zur rumänisch-ungarischen Grenze Richtung Guyla. Auch hier ist der Grenzübertritt wieder recht unkompliziert, max. 10 Minuten dauert das Prozedere, die Grenzer sind wie immer sehr über unsere altertümlichen Motorräder erstaunt. Wo es doch in Deutschland und der Schweiz so schöne Suzukis gibt, und BMW, Yamaha und Kawasaki; die jungen Zöllner verstehen diese Fremden mit diesem komischen Geschmack nicht ganz, sind verwundert und belustigt, aber sie winken uns sehr schnell durch. Ob das wohl eine Art Mitleid ist?

Weiterfahrt in Ungarn, wo die Straßen sehr gut sind und die Dörfer wieder wohlhabender wirken. Aber hier winken keine Kinder und keine Bauern auf Pferdefuhrwerken mehr und keine Störche schauen auf Ortseingängen auf uns herab. Die Welt ist in 10 Minuten wieder 70 Jahre älter geworden.

Ungarn ist einfach nur platt. Zum Fahren ist das relativ langweilig, zum Campen ist das gut. Bei Kondaras finden wir einen Schlafplatz in der riesigen Puszta. Wir schrecken auf von einem komischen Geräusch, es hört sich verdächtig nach einer Gewehrsalve an. Und dann noch eine. Ein vorsichtiger Blick vor das Zelt liefert uns die Erklärung: Überall Feuerwerke und Böllergeräusche, unser allwissendes Ungarn-Buch erläutert, daß der 20. August ein National-Feiertag ist, St. Stephanstag, wird übrigens überall mit Feuerwerken gefeiert……

Wir stellen fest, daß eine Übernachtung in der ungarischen Puszta doch recht aufregend sein kann, schon aufgrund des dort vorhandenen Geräuschpegels.

Mi. 21.08.02

R: Da wir grade in Ungarn sind, wollen wir mal noch den Balaton besuchen. Das letzte Mal, als ich dort war, war im Jahre 1990, das Jahr nach der Grenzöffnung. Es war toll damals, alles sehr billig, die Leute sehr traditionell, sehr aufregend waren damals die ersten Bekanntschaften mit Ostdeutschen, mit denen wir kegeln gingen oder ins Hard-Rock-Cafe, was anderes gab’s damals nicht. Somit war der Balaton des Jahres 2002 ein Schock für mich: Jeder Zentimeter auf gut betuchte westliche Touristen ausgerichtet, ein Bierhäuschen neben dem anderen, offensichtlicher Touri-Nepp, alles verbaut. Wir haben einen netten Campingplatz etwas weiter weg vom Balaton gefunden und dort einen sehr schönen Abend in einer ungarischen Kneipe verbracht.

Do. 22.08.02

Dieser Tag war ein denkwürdiger: Nach der Abreise nehmen wir die Straße 84 Richtung Sopron und waren der Meinung, gegen Spätmittag das Stift Göttweig zu erreichen, da wir Bruder Johannes besuchen wollten. Im Dorf Siamag fährt Sacha plötzlich rechts ran und deutet auf das Getriebe. Ein ratterndes Geräusch ist zu hören. Nach dem Abbau des Endantriebes und des Kardans zeigt sich, daß das Problem wohl tiefliegender sein muss, die Verzahnungen am Getriebeausgang scheinen in Ordnung zu sein. Zigarettenpause.

Anruf bei Lois Löw. Das ist der Beginn einer Großaktion. Die Dnepr scheint einen Getriebeschaden zu haben, und das dummerweise in Ungarn, ca. 60 km vor der österreichischen Grenze. Zuerst muss ein Telefon organisiert werden, damit Sachas Versicherung zurückrufen kann. Die Akkus unserer Handies sind leer. Eine ungarische Familie bietet Sacha ihr Telefon an und ruft uns immer, wenn ein Anruf ankommt. Paralell dazu ruft Lois wohl sämtliche Leute an, die an der ungarischen Grenze wohnen und ein Getriebe oder eine Werkstatt haben könnten. Die ganze Aktion zieht sich über den Tag hin und wir müssen in dem ungarischen Dorf übernachten. Eine Familie, die ein Grundstück verwaltet, bietet uns das spontan zum Zelten an und bringt uns Wasser und Seife zum Waschen vorbei.

Fr. 23.08.02

Am nächsten Tag lichtet sich die Situation etwas: Es wird eine Adresse bei Graz in Tillmitsch gefunden, wo ein österreichischer Schrauber eine Werkstatt und wohl auch ein passendes Getriebe zur Verfügung stellen kann. Gegen Mittag ist die Situation mit Schrauber und Versicherung geklärt, ein ungarisches Abschlepp-Unternehmen kommt und lädt die Dnepr auf.

R: Von da an trennen sich unsere Wege: Sacha fährt nach Graz, ich fahre die 84 mit dem Chinesengespann weiter Richtung Wien. Leider ist der Grenzübertritt bei Sopron eine sehr schlechte Entscheidung gewesen: Die Fahrzeuge stauen sich schon lange vor der Grenze. Aus Angst um meinen hitzempfindlichen Seitenventilmotor verlege ich mich zum Vergnügen der Umstehenden aufs Schieben. Dummerweise liegt der Grenzübertritt auf einem Berg. Nun ja. Ich hab’s irgendwann auch geschafft, und fahre Richtung St. Pölten, wo mich Johannes mit seinem Junak-Czepel-Gespann abholt. In einer moderaten Geschwindigkeit geht es über wunderschöne Nebensträßchen ins Kloster, wo ich übernachten kann.

Sa. 24.08.02

Gegen Mittag fahre ich in Begleitung von Johannes (diesmal auf einer völlig unterforderten Guzzi V 11) nach Linz, wo sich unsere Wege trennen. Der Weg an der Donau entlang bei bestem Wetter ist wunderschön, verheerend sind aber die Nachwirkungen der immensen Hochwasserschäden, die eine Woche davor im Waldviertel gewütet haben. Abends gegen 17.00 Uhr fährt mein Chinesengespann in die Garage ein und somit geht ein abenteuerlicher Urlaub für mich zu Ende.

Auf einen Blick:

Die Maschinen:

Selbst eine originalbelassene Chang Jiang ist bei richtiger Fahrweise und gelegentlichem Griff zum Schraubenschlüssel (und vor allem häufigem Nachschauen des Ölstandes) ein durchaus reisetaugliches und zuverlässiges Gefährt, auch wenn 26-China-PS dem ganzen natürlich Grenzen setzt. Immer wieder schön ist es, im Schwingsattel der CJ zu sitzen und dem nähmaschinenartigen Klang des Seitenventilers zu lauschen.

Die Dnepr K 750 ist mit ihren 48 Jahren eine betagte Dame. Die Pannen an ihr waren zahlreicher, was sich durch das Alter aber leicht erklären lässt.

Land und Leute:

Sensationell, wenn man die Erwartungen an das Land realistisch hält. Interessant ist Rumänien sicher für Enduro-Besitzer und Off-Road-Liebhaber, außerdem für Abenteurer, die einen Low-Budget-Urlaub verbringen wollen. Naturliebhaber kommen beim Anblick der vielen Land-und Wiesenlandschaften voll auf ihre Kosten. Die meisten Straßen, die wir benutzten, waren einigermaßen in Ordnung; es kommen immer mal wieder Schlaglöcher und Wellblechpisten vor, ab und zu auch mal unbefestigte Wege. Überproportional teuer ist übrigens das Benzin, mit ca. 75 Cent pro Liter extrem teuer für rumänische Durchschnittseinkommen. Die Leute, die wir in Rumänien kennen gelernt haben, waren allesamt sehr freundlich und sehr offen. Leider sind einige interessante Gespräche an den mangelnden Rumänisch-Kenntnissen gescheitert.

Persönliches Resümee:

Trotz anfänglicher Schwierigkeiten aller Art (Pannen, schlechtes Wetter, unbekannter Reisepartner usw.) haben wir uns schnell zusammengerauft. Persönliche Bedenken meinerseits sind schnell verflogen, die Wahl des Reisepartners war die absolut richtige.

Wir sind um die Erfahrung reicher, daß es irgendwie immer weitergeht. Und daß man mit etwas Vertrauen – trotz der Unkenrufen von Bekannten – auch mit chinesischen und ukrainischen Gespannen einen denkwürdigen Urlaub verbringen kann.